Franz-Peter Walder im Gespräch mit Dr. Raphael von Hoensbroech
Raphael von Hoensbroech ist seit 2013 als geschäftsführender Direktor im Konzerthaus Berlin tätig und verantwortet insbesondere die Bereiche Finanzen, HR und Operations. Zuvor hat der promovierte Musikwissenschaftler und Dirigent acht Jahre als Unternehmensberater bei „The Boston Consulting Group“ namhafte Großunternehmen beraten und dabei verschiedenste Führungskulturen beobachtet. Nebenher hält von Hoensbroech heute Seminare über „Führung“, bei denen Manager – inmitten eines professionellen Orchesters sitzend – über die Arbeit des Dirigenten ihre eigene Führungsrolle reflektieren.
Seit Mai 2016 arbeiten wir gemeinsam am Projekt „Prozessmanagement für das Konzerthaus Berlin“. Wo liegt für Sie die Zielsetzung?
Ausgangspunkt waren zwei Erkenntnisse: Wir gestalten zum einen 650 Veranstaltungen pro Jahr, die zwar alle unterschiedlich sind, aber ähnliche zugrundeliegende Prozessschritte aufweisen. Und zweitens: Keine Abteilung unseres Hauses kann auch nur eine einzige Veranstaltung alleine durchführen.
Das bewusste Denken im Prozessablauf unserer Wertschöpfung soll deshalb das Zusammenwirken der Abteilungen verbessern. Durch die Gestaltung effektiver Prozesse wollen wir Schnittstellen schärfen, Wiederholbares standardisieren, Redundanzen ausräumen und mit verbesserter Kommunikation Reibungsverluste vermeiden. Wir wollen gelebte Prozesse überdenken, verbessern und ein Prozessdenken etablieren. Es geht uns dabei nicht um eine ISO-Zertifizierung o.ä. Unsere Zielsetzung ist es, mehr Spielraum für die Musik sowie mehr gestalterischen Freiraum für unsere Mitarbeiter zu schaffen.
Die intensive Phase des Projektes läuft nun seit Anfang September 2016. Wie sehen Sie die bisherigen Erkenntnisse und den Projektfortschritt?
Wir konnten in mehreren intensiven Arbeitsrunden und mit viel Engagement auf allen Ebenen etliche konkrete Verbesserungspotentiale erkennen und bereits einiges davon umsetzen. Es war wichtig, eine klare Projektstruktur bei uns im Haus zu etablieren. Ein kompaktes Kernteam und fünf interdisziplinär besetzte Arbeitsgruppen arbeiten parallel entlang unseres Kernprozesses an den Abläufen. Durch diese Struktur ist der abteilungsübergreifende Austausch sichergestellt, was ganz nebenbei ein neues Verständnis und Vertrauen zwischen den Abteilungen schafft. Konkrete Vorschläge werden diskutiert und im Zweifel für einen gewissen Zeitraum ausprobiert – Veränderungen werden so schnell spürbar.
Methodisch halten wir es pragmatisch kompakt – Ausarbeitungen münden in Prozessbeschreibungen, die Aufgaben, Verantwortungen, Schnittstellen und Fristigkeiten definieren. Große Herausforderungen gibt es insbesondere in jenen Prozessen, wo künstlerische Gestaltung mit der Planung von knappen Ressourcen (Finanzen, Personal und Räume) in Einklang gebracht werden muss.
Ganz wesentlich für das Projekt ist, dass wir die Mitarbeiter von Anfang an mitgenommen haben. Wir verstehen Prozessmanagement als Aufgabe des gesamten Hauses und haben bislang schon über die Hälfte der Belegschaft aktiv in die Prozessarbeit involviert. Das ist anstrengend für alle, aber das Feedback ist sehr positiv. Die Herausforderung wird sein, diese positive Energie weiter aufrechtzuerhalten.
Welchen Anspruch stellen Sie an die Beratungsarbeit, um diesen Weg des Konzerthauses Berlin bestmöglich zu unterstützen?
Letztendlich ist jede Organisation gefordert, ihre substanzielle Weiterentwicklung selbst zu leisten. Wir wollen niemanden der „für uns“ Prozesse gestaltet oder uns das Vorgehen anderer Häuser als „richtig“ präsentiert. Beratungsseitig erwarte ich mir deshalb fundierte inhaltliche Impulse und eine Prozessbegleitung mit der Zielsetzung, im Sinne der Gesamtorganisation ein bestmögliches Ergebnis zu erreichen.
Gute Beratungsarbeit bietet natürlich auch Reibungsfläche bei widersprüchlichen Punkten und bringt andere Sichtweisen ein. Ein Hinterfragen von Glaubenssätzen, das Einbringen alternativer Bilder und konstruktive Auseinandersetzung bieten die Möglichkeit, uns als Organisation weiterzuentwickeln.
Kulturinstitutionen empfinden die Arbeit an Management, Prozessen und Systemen immer wieder als Einschränkung der künstlerischen Gestaltung. Sie selbst bieten Workshops für Unternehmen an, bei denen Sie die Perspektive des Dirigenten mit jener des Managers vergleichen: „The Conductor´s Perspective“ – was Führungskräfte von Dirigenten lernen können. Welche Erkenntnisse für das Projekt ziehen Sie aus dieser Arbeit?
Musik – und insbesondere das Orchester als Organisationseinheit – bieten einen wunderbaren Zugang, um Management und Führungsthemen emotional zu vermitteln. Der Dirigent ist der Einzige, der keinen Ton selbst spielt. Aber er hat zwischen 20 und 120 Experten vor sich sitzen, die alle etwas können, was er nicht kann, weil der Dirigent kaum eines der Instrumente seiner Musiker selbst beherrscht. Schon dieses offensichtliche Bild ist eine wichtige Erkenntnis für viele Führungskräfte. Für uns heißt das, die Mitarbeiter ihre Prozesse weitgehend selbst definieren zu lassen.
Und dann geht es in den Workshops darum, sichtbar zu machen, wann Führung produktiv ist. Der Dirigent schlägt zwar auch den Takt und gibt Einsätze, aber die entscheidende Aufgabe liegt ganz woanders. Das wird deutlich, wenn ich als Dirigent das Pult unangekündigt verlasse, denn das Orchester ist sehr wohl in der Lage, auch ohne Dirigent zusammenzuspielen. Aber es braucht eine gemeinsame Vision, ein lebendiges Team, gegenseitige Wertschätzung und künstlerischen Freiraum, um Musik zu machen, statt nur die Noten zu spielen. Das ist das Bild, das ich vermitteln möchte. Wie man das als Führungskraft erreicht, darum geht es in meinen Workshops. Sichtbar wird dabei auch, was bei schlechter Führung passiert. Beispielsweise beim Micro Manager, der versucht alles zu steuern. Oder bei Dirigenten, die eigentlich nur an ihrer eigenen Publikumswirkung interessiert sind. Orchester spüren das und entscheiden oft unerbittlich, ob sie dem Dirigenten folgen oder nicht. Das erleben wir in Unternehmen nicht anders.
„Leading from behind“ ist die Devise, eine dienende Führung, die Mitarbeitern ermöglicht den Job bestmöglich zu machen. Genau hier setzen wir auch mit unserer Arbeit an den Prozessen im Konzerthaus an. Wir bieten den Rahmen, in dem die Mitarbeiter gestalten können. Durch eine klare Vision für das Haus, gut strukturierte Prozesse und einen wertschätzenden Teamgeist wollen wir den Spielraum für die Kunst erweitern.
Vielen Dank für das Gespräch!